Vor einiger Zeit nahm meine neue Mitarbeiterin zum allerersten Mal an einem tantrischen Frauenseminar teil. Dieses Seminar heißt „Satisfaction“ und beschäftigt sich mit der weiblichen Sexualität. Ein wichtiger Part dabei ist der gut vorbereitete, sogenannte „Yoni Talk“.
Der Begriff „Yoni“ stammt aus dem Sanskrit und ist die Bezeichnung für das weibliche Geschlechtsorgan und den Uterus. Yoni bedeutet Ursprung, Quelle, und aus dieser Quelle darf es im Seminar sprudeln – nicht nur in Flüssigkeiten, sondern beim Yoni Talk auch in Worten.
Nach einer längeren geführten Fantasiereise durch den Körper erlaubt jede Frau ihrer Yoni, also ihrer Vagina, die Stimme zu erheben. – Richtig gelesen. Beim Yoni Talk verleiht sie sozusagen ihrem „unteren Mund“ ihre Worte.
Im Tantra geht man davon aus, dass jeder Körperteil ein eigenes Bewusstsein hat. Genau dies wird im Yoni Talk angesprochen und darf erspürt werden, denn es macht einen Unterschied, ob frau über das eigene Geschlecht spricht oder ob sie es fühlt und „aus dem Erleben ihrer Yoni heraus“ berichtet.
Mit entsprechender Vorbereitung geschieht dies oft recht geschwind und führt mit viel Heiterkeit zu erstaunlichen Erkenntnissen. Bisweilen sogar so weit, dass es manch einer Yoni-Besitzerin die Schamesröte ins Gesicht treibt. Generell ist auffällig, das die Vaginen selbst meist deutlich weniger moralisch oder verunsichert unterwegs sind wie ihre Trägerinnen in der „Chefetage“ oftmals meinen. Erst einmal losgelassen plaudern sie recht ungehemmt und frei heraus von ihrem Erleben.
Manch eine Yoni hat schon unglaubliche Geschichten erlebt. Teils lustvolle und leidenschaftliche, aber auch haarsträubende, überraschende oder tränenreiche Erlebnisse eröffnen sich in der Runde. Nach anfänglichem Stocken erzeugt das mitgeteilte Erleben eine deutliche Entspannung im System. Was zunächst kaum vorstellbar war, wird zu einer Befreiung.
Durch Öffnung und Lösung von manch einem lang, schwer und einsam getragenen Geheimnis wächst beim Yoni Talk auf tief berührende Weise die Solidarität und Sicherheit zwischen den Frauen.
Sich nicht nur körperlich nackt zu zeigen, sondern sich auch emotional zu entblättern, ist zunächst meist ungewohnt, wird mit etwas Übung aber immer leichter.
Und das Erstaunen wächst, wenn die Teilnehmerinnen im weiteren Verlauf des Yoni Talks die sprechenden Vaginen nun auch ganz genau betrachten dürfen: Da gibt es sehr unterschiedliche Schamlippen oder besser gesagt Lustlippen, eine versteckte Klitoris mit einem großen oder eine mit einem eher kleinen Häubchen und viele weitere individuelle Schönheiten.
Dabei sind wir noch gar nicht bei all den verschiedenen Möglichkeiten der Frisur oder Rasur! Hatte man sonst nur die Alternative via Porno oder Buch, um unterschiedliche Varianten zu entdecken, so können die teilnehmenden Frauen nun in Ruhe und mit Wohlsinnen den Blick schweifen lassen. Jede Yoni, das wird nun klar, ist komplett einzigartig.
Ähnlich wie das obere Gesicht hinterlässt jede Vulva einen einzigartigen „Fingerabdruck“ und wäre für den genauen Betrachter in ihrer Schönheit sofort wieder erkennbar.
Wenn ihre Yoni im Saft steht oder vielmehr ins Sprechen kommt, läuft manch einer Frau vor Aufregung nicht nur der Schweiß herunter, sondern das Gesamtgeschehen wird in jeder Hinsicht flüssiger. Taschentücher werden gereicht, teils aufgrund von traurigen Berichten, teils wegen der besonderen Heiterkeit, die die Teilnehmerinnen im Laufe des Geschehens erfasst.
Die Yoni einer Frau erzählt die Geschichte „Vom Lingam, der zu Besuch kam und den ich seeehr mochte“. Die nächste Frau berichtet ebenfalls von einem Lingam, der sie besuchte und der sie auch eindrücklich berührte.
Meine neue Mitarbeiterin hört stumm und aufmerksam zu. Sie wundert sich, dass offenbar beide Frauen, die beim Yoni Talk an der Reihe waren, denselben Freund hatten! „Kannten die sich etwa schon vor dem Seminar? Offenbar handelt es sich hier um einen Ausländer … irgendwie komisch …!“ In ihrer eigenen Session lüftet sich endlich der Irrtum: Der unbekannte Herr Lingam entpuppt sich als ein aus dem Sanskrit stammendes Wort für das männliche Geschlechtsteil. – Es waren also doch mehr Männer im Spiel als gedacht! Man lernt nie aus …
Und auch wenn bis zum Abschluss des Seminars kein Mann anwesend ist, so muss Frau am Ende wohl zugeben, dass das Verständnis für „Sir Lingam“ genauso wie für Ihre Yoni gewachsen ist.
Kann eine Frau zu der Einheit von oben und unten in sich selbst zurückfinden, indem sie z. B. die verschiedenen Stimmen des Verstandes und die ihrer Yoni differenzieren lernt und sich selbst nicht mehr übergeht, so wächst auch ihr Begreifen und Mitgefühl für das männliche Gegenüber. Der Yoni Talk ist ein wunderbares tantrisches Mittel zur Vertiefung dieses gegenseitigen Verstehens.
Auch ein Lingam hat manchmal gute wie schlechte Tage, und er hat auf jeden Fall einen eigenen Willen, der manchmal nicht unbedingt übereinstimmt mit dem seines Trägers. Die Stimme des Lingams ist genauso zu respektieren und mit Achtung zu behandeln wie die Stimme der Yoni, die in der Tiefe ihr ureigenes Wissen darüber hat, was ihre Leidenschaft beflügelt und damit ein verzücktes Lächeln auf den Lippen des oberen Mundes erzeugt.