Das Schwert ziehen und sich von den Dornen befreien

Leben ist Reifung. Bestenfalls. Man kann aber auch einfach alt werden und trotzdem Spaß haben.

Für eine Gemeinschaft, die etwas Neues aufbaut, wären reife Persönlichkeiten allerdings von Vorteil. Und sei es, dass diese Gemeinschaft aus zwei Personen besteht, die ein oder mehr Kinder in die Welt setzen und großziehen möchten.

Aus der Zweiergemeinschaft entwickelt sich bestenfalls eine vollständige Triade, deren Pole klar voneinander differenziert sind. Das bedeutet Vater, Mutter (oder eine entsprechende Bezugsperson) und Kind müssen sich als klar voneinander getrennte Individuen wahrnehmen. Das Kind beginnt langsam auch die Beziehungen in diesem Dreieck wahrzunehmen und sowie seine eigene Position.

Sind diese Beziehungen nicht klar voneinander differenziert, oder ist das Dreieck brüchig, so findet sich das Kind umso schwerer zurecht. Es bleibt in seinem narzisstischen Universum. Ist es nicht aufgehoben in einer liebevollen Beziehung der Eltern, kann es zu einer konkurrierenden Teilbeziehung kommen: Dem Verrat. Das Dreieck zerfällt. Nicht selten sind dies Eltern, die um das Kind einen erbitterten Kampf austragen, und es dabei manipulativ zur Parteinahme zwingen.

Innerhalb einer körpertherapeutischen Übung (Holotropes Atmen) brach es aus einer Teilnehmerin heraus:

Karin spürte die zelluläre Verzweiflung ihrer Kindheit. Die große Wut auf ihren Vater, der die Familie verlassen hat und seine Tochter statt seiner Liebe mit teuren Geschenken an Feiertagen versorgte.

Auch wenn viele Patchwork-Familienverhältnisse damals möglich gewesen wären, verweigerte der Vater die Beziehung zur Tochter und distanzierte sich nicht nur örtlich.

Das sichere elterliche Nest hatte ein dickes Leck, welches sich in der Körpertherapie offenbarte und stückweise durch ein „zu Ende fühlen“ transformiert werden konnte. Sie lernte ihre immense Verlustangst, die in Form von panischer Eifersucht jede Beziehung erstickte, langsam zu umarmen und zu lösen.

Derlei verstrickte Beziehungen der Eltern machen es dem Kind schwer, ein gesundes, stabiles Selbst zu entwickeln.

Die frühkindliche Entwicklungsphase ist dabei nicht zu unterschätzen, da sie auch die spätere Stressregulation mitbeeinflusst. In den ersten drei Lebensjahren bildet sich ebenfalls die Fähigkeit der Selbstregulation sowie die Bindungsfähigkeit heraus.

Selbstregulation – was ist das?

„Kann ich mich emotional beruhigen, auch wenn der Partner sich wochenlang, wie ein Irrer aufführt?“
(David Schnarch)

Selbstregulierung ist die Fähigkeit, seine Gefühle zu beruhigen und für die innere Stabilität selbstständig zu sorgen, anstatt sie beim Partner zu suchen.

Eine gute Selbstregulation entlastet den Partner und schafft mehr Nähe. Der Partner muss nicht die Lücken der Herkunftsfamilie emotional ausbaden, sondern es gelingt bestenfalls, sich selbst zu beruhigen: Einen ruhigen Geist und ein stilles Herz zu entwickeln.

Wer damit ernste Schwierigkeiten hat, muss stattdessen andere kontrollieren. Beliebt sind Vorwürfe oder emotionale Ausbrüche. So wird innerer Stress nach außen verlagert.

Unglücklicherweise erschafft dies mehr Distanz als Nähe. Das Ringen um die Beziehung wird zu einem Versuch, den anderen in der Andersartigkeit nicht zu akzeptieren, sondern ihn nach eigenem Gusto zu formen, damit die aufkommende Angst reguliert werden kann.

Die Stabilität einer Partnerschaft erwächst nicht aus der Beziehung, sondern aus dem Individuum. Auch das ist ein Lernprozess.

Reifung bedeutet hier eine stetiges heiteres aufmerksam und gegenwärtig sein in erster Linie sich selbst gegenüber. Der Körper mit seiner feinen Empfindungsfähigkeit ist hierfür ein gutes Barometer. Im Tantra wird diese Fähigkeit trainiert.

Die herzhafte, intakte Triade

Wer aufgewachsen ist mit Eltern, die für ihre eigene Gefühlswelt differenziert die Verantwortung übernommen haben, und dem Kind Rückendeckung und Sicherheit vermitteln konnten ist schon privilegiert ausgestattet und beschenkt mit einer guten Basis von Selbstbewusstsein. Nicht allen ist dies gleich mit ins Körbchen gelegt worden, sondern viele müssen teils sehr darum ringen.

Mit unterschiedlichen Voraussetzungen kann sich aus der Triade bzw. unter einem Dach, welches von (mindestens) zwei Säulen gehalten wird ein/e Krieger*in des Herzens entwickeln, der/die in der Lage ist, mit den auftauchenden Dornen im Leben umzugehen.

Das Feilen am Schwert ist allerdings ein immerwährender und ein für alle fortlaufender Prozess, der innerhalb der tantrischen Sichtweise nie stillsteht. Ein grandioses Abenteuer!

Um den inneren Strukturen auf die Schliche zu kommen, empfehle ich insbesondere den ersten Abschnitt meines Jahrestrainings: Liebe, Selbstwert und Verlangen.

Buchtipps zu diesem Thema:

„Intimität und Verlangen“ – Dr. David Schnarch
„Expedition in den dunklen Kontinent – Weiblichkeit im Diskurs der Psychoanalyse“ – Christa Rohde-Dachser