Es scheint ein ur-weibliches Prinzip zu sein, Männer zu bewundern. Die Männer erfreuen sich der Bewunderung und verwechseln dies manchmal mit Liebe. Gelegentlich erbringen die Frauen ihre Bewunderung in Form von sexueller Hingabe an denjenigen, der etwas kann, was sie erfreut und erstaunen lässt.

Das kann man allerorts sehen, ob Tennislehrer, Klavierlehrer, Rockstar oder ähnliche Berufssparten. Sie ziehen Frauen mit ihrem Können in den Bann. In manch einem Beruf scheint der männliche Attraktionswert automatisch in die Höhe zu steigen und die Schülerinnen sind leicht zu bezirzen.

Tantralehrer gehören mit in diese Kategorie.

Reine Freude und Lust – oder genetisches Programm?

Begeisterung, Dankbarkeit und Freude sind immer gern gesehen. Warum also nicht auch Sex mit der angebeteten Person haben? Sex ist gesund und macht glücklich. Möglicherweise entwickelt sich sogar eine Beziehung daraus?

Nutzt hier nicht jeder das Gegenüber für das eigene Glück?

Vielleicht läuft auch einfach das genetische Programm, welches den Nestbauer sexuell zelebriert, um aus möglichst stark erscheinenden Alphatierchen den besten Samen für den Nachwuchs zu wählen?

Solang Konsens herrscht, ist doch alles in Ordnung, oder?

Im Seminarkontext wird es kritisch, insbesondere dann, wo nach Außen etwas anderes verkauft wird, wie zum Beispiel „Tantra“, „Egolosigkeit“, „non-duale Liebe“ oder spiritueller Akt ….

Die Worte werden verwendet und verschleiern so, dass es im schlimmsten Fall um die Bedürfnisbefriedigung der Leitungsriege geht.

Das Ausnutzen des eigenen Glorienscheines in einer Führungsposition ist – soweit ich höre – immer noch recht verbreitet:

Ein Tantralehrer erklärt einer Teilnehmerin, dass ihr Körper doch für die Liebe gemacht sei. Er würde sehen, dass sie eine Göttin sei und lädt sie in der Pause zu sich auf sein Zimmer ein.

Sie sagt, ja, mein Körper ist tatsächlich aus Liebe gemacht und genau deshalb, weil ich mich schätze, mache ich jetzt Pause und suche mir selbst, was ich brauche.

So selbstbewusst und spontan wird selten gekontert.

Wieso sagt keiner etwas?

Unsicherheit verhindert oft, dass jemand, wie hier, selbstständig von der Bettkante hüpft.

Wenn durch das sexuelle Angebot alte Muster getriggert werden, kann es sein, dass erst im Nachgang der Situation das klare Bewusstsein langsam wieder ins Gehirn sickert. Dann gibt es Beschwerden hinterher wie: „Eigentlich habe ich gar keinen Sex gewollt“ oder Ähnliches.

Oft werden von beiden Seiten narzisstische Anteile bestätigt. Für die Frau bedeutet das zum Beispiel: Oh, der Leiter geht mit mir ins Bett – also, muss ich etwas Besonderes sein.

Ganz schlimm wird es, wenn behauptet wird, dass sowas wie „Erleuchtung“ in der sexuellen Begegnung übertragen wird. Wahrscheinlich durch direktes Reinspritzen! Ich habe noch niemanden getroffen, wo das funktioniert hat, eher das Gegenteil: Fallengelassene Geliebte oder Frauen, die dann zumindest im Büro landen, um dem Herrn den Rücken freizuhalten.

Umgekehrt kann sich das männliche Ego im Schein des Applauses und Begehrens erhellen und das „Narzissmus-Konto“ wird großzügig aufgeladen.

Bye Bye Tantra?

Gruppenleiter mit geringer Selbstreflektion schaden so dem leider ohnehin oft in Verruf geratenen Tantra.

Bei einem solchen Verhalten der Gruppenleiter, geht leider nicht selten verloren, dass es doch gerade im Tantra und tiefe Selbsterkenntnis und Entfaltung der Persona sowie u. a. um das Achten von Grenzen geht.

Safe Space

Therapeutisch-tantrische Gruppenprozesse fördern bestenfalls mit Geschwindigkeit Klarheit und Erkennen der eigenen Wahrheit und stärken die eigene Differenzierungsfähigkeit.

Eine Bedingung für diese Gruppenprozesse ist der geschützte Raum.

Dieser entsteht durch Grenzen. Die Grenzen sind dazu da, der Teilnehmerschaft zu ermöglichen, sich im sicheren Rahmen zu öffnen, um so in Bereiche des persönlichen Seins vorzudringen, die ohne professionelle Begleitung schwierig sind und teils eine hohe Sensibilität erfordern.

No Limits

Wenn sich die Leitung oder das Team mit der Teilnehmerschaft mischen und sich sexuell einlassen, werden diese Grenzen überschritten.

Es hat ebenfalls auf die gesamte Gruppe Auswirkung, die selten thematisiert wird. Es kann Spaltung, und Rückzug von einzelnen erzeugen oder Konkurrenz fördern. Eine Situation, die innerhalb des Machtgefälles zum Besten aller kaum gut manövrierbar ist.

Grenzüberschreitungen kann auch aus den Reihen der Assistenz erfolgen:

Ein Assistent behauptet gegenüber einer Teilnehmerin, die Leitung hätte ihn beauftragt, mit ihr persönlich das Maithuna-Vereinigungsritual in der Pause zu üben. Sie ist überrascht und willigt dennoch ein. Im Nachgang klärt sich, dass es diesen „Auftrag“ nie gegeben hat. Der Assistent flog im hohen Bogen aus der Gruppe hinaus.

Manchmal wird das „Tantra“ selbst verwendet, um missbräuchliche Situationen zu verschleiern. Zum Beispiel wie in dem Fall eines Meditationsleiters. Er übergab seiner Schülerin ein Tantrabuch als Geschenk mit dem Hinweis, dass „er sehe, dass sie ihre Sexualität abgeschnitten hätte“. Um ihr „zu helfen“ machte er ihr ein Geschenk der besonderen Art. Er bot ihr eine Yonimassage an, für die er als Ausgleich eine Lingammassage forderte. Da in seiner Schule striktes Schweigegebot herrschte, selbst nach dem Unterricht und zwischen den Schülerinnen, konnte er über die Jahre ein manipulatives, missbräuchliches System unter esoterischen Deckmäntelchen erhalten, wo niemand ihn zur Rede stellte. Lauter kann ein Schweigen nicht sein.

Das Überschreiten der Grenze stabilisiert innere Blockierungen und Muster, mit denen die Teilnehmerinnen an mancher Stelle eh schon unterwegs sind. Oftmals betrifft es komplexe innere Vater-Tochter-Strukturen, die im Alltag z.B. verhindern, dass „Frau selbst kraftvoll zu sich stehen kann“, beziehungsfähig ist und sexuelles Selbstbewusstsein hat.

Dass Frauen mit Missbrauchserlebnissen hier etwas Bekanntes wiederholen, sollte generell ersichtlich sein.

Teilnehmerinnen in Seminaren kommen oft mit der Absicht, diese Themen zu lösen. Jedes Ausnutzen der Situation spricht für die Unreife der beteiligten Personen, stabilisiert patriarchale Strukturen und hat nichts mit „Tantra“ zu tun.

Und ist es doch so verlockend …

In Seminaren werden teils sehr besondere, sinnliche Räume kreiert, die jenseits des Alltages der meisten Menschen liegen.

In vielen Momenten entsteht tatsächlich eine Art Liebe oder eine neu entdeckte Intimität untereinander und ist wie spürbar im Raum. Manchmal hat man das Gefühl, die Liebe schwebt in der Luft und ist beinah physisch greifbar. Die Herzen springen vor Freude und die Körper vibrieren in unbekannter Weise. Natürlich lässt das alles auch Leitung samt Team nicht kalt. Es ist bezaubernd und fantastisch. Bis zu einer gewissen Grenze.

Denn diese Räume und Erfahrungen sind komplett für die Teilnehmerschaft da. Das ist die Verantwortung und die Kunst der professionellen Gruppenleitung. Insbesondere im Tantra.

Nachtrag:

Im hier geschriebenen Text geht es hauptsächlich um Männer. Das ist auch meistens der Fall. Mir ist allerdings zu Ohren gekommen, dass leider eindeutiges und nicht weniger grenzüberschreitendes Vorgehen auch bei weiblichen Lehrerinnen zu beobachten ist. Achtsamkeit in Bezug auf dieses Thema ist genderübergreifend.