Er kniet vor seiner Göttin, die auf einem Stuhl sitzt, den er mit Girlanden und Blumen geschmückt und so in eine Art Thron verwandelt hat.

Sie ist wunderschön zurecht gemacht und blickt huldvoll auf ihn herab. Ihr gehört seine ganze Hingabe, man sieht es in seinen Augen. Er verneigt sich tief vor ihr. Voller Ehrfurcht nimmt er dann ihren nackten Fuß in die Hände, hebt ihn behutsam hoch und lässt ihn sehr langsam in eine Schale mit warmem Wasser gleiten. Inbrünstig beginnt er, ihren verehrungswürdigen Fuß zu waschen. Um ihn zu trocknen, nimmt er seinen Sarong ab und tupft das verbliebene Wasser von ihrer Haut, als würde er Blattgold auf ein Gemälde auftragen. Dann wiederholt er diese Handlung auch mit dem anderen Fuß. Sie schaut ihn die ganze Zeit über an.

Als er den Vorgang bei beiden Füßen beendet und Schale und Sarong zur Seite gelegt hat, verneigt er sich erneut tief vor ihr und legt sich dann flach vor sie auf den Boden. Auch er schaut sie an und sieht zu seinem Entzücken, dass sie ihm zunickt. Er genießt dieses Zeichen ihres Einverständnisses, und so fährt er mit dem Ritual fort, kriecht näher zu ihr hin und küsst ihre Füße andächtig. Völlig ergriffen von diesem außergewöhnlich intimen Moment, den sie ihm gestattet, beginnt er zu weinen.

Ist dies nun das Ende eines tantrischen Rituals, ist es eine Szene aus einem Dominastudio oder einer privaten SM-Session?

Was unterscheidet Tantra von BDSM und was ist beiden gemeinsam?

Zunächst einmal ist für Außenstehende, das eine genauso mit Vorurteilen und festgefügten Vorstellungen von andersartiger Sexualität verknüpft, obwohl das Wissen darüber, was genau geschieht, eher rudimentär zu sein scheint.

Aus dem Alltagszustand betrachtet bieten BDSM und Tantra beide die Möglichkeit, dem allzu gewohnten Mustern zu entfliehen und in einem zeitlich klar abgesteckten, sicheren Rahmen Außergewöhnliches zu erleben. Man kann bei Beidem in Rollen schlüpfen, in denen man sich besonders kleidet, sich mit Attributen schmückt, seien es nun Ketten, Halsbänder oder Blumen und schöne Gewänder.

Sowohl beim BDSM als auch beim Tantra geht es um Rituale, die einen eindeutigen Beginn und ein klar definiertes Ende haben. Es geht um verborgene Wünsche und um Emotionen, die man sich im alltäglichen Leben nicht gestattet, um Intensität und Intimität.

In beiden Fällen geht es auch um Sexualität, die jedoch nicht notwendigerweise genital erlebt werden muss und trotzdem hocherotisch und befriedigend sein kann. Das Ziel ist das Eintauchen in eine andere Welt, die Begegnung jenseits des Alltäglichen. Die Bereicherung der eventuell schon ein wenig eingerosteten Beziehung oder das Ausleben lange verdrängter Gelüste.

Tantra und BDSM sind eine emotionale Herausforderung, im besten Fall die Befreiung von Einschränkungen oder Traumata, die Hinführung zu bewussterem, intimerem Umgang und auf jeden Fall zu intensiverer Kommunikation über die (sexuellen) Bedürfnisse der agierenden Personen.

Beides ist ein Abenteuer, aus dem sich nicht zwingend eine Beziehung entwickelt; man kann einen Moment voller Außergewöhnlichkeit und Tiefe miteinander teilen und sich doch nie wiedersehen.

Sowohl im Tantra als auch im BDSM geht es oft um den Atem und um Stille. Einerseits ist das gemeinsame Atmen ein Schlüssel zu größerer Energie und damit auch zu größerer Lust; andererseits kann das Nehmen des Atems in einem Breathplay zu ebendiesem Ergebnis führen. Stille wird beim Tantra durch meditative Übungen und beim BDSM durch Seile, Masken und Knebel erreicht.

Hingabe als ein zentraler Aspekt ist noch eine Gemeinsamkeit, sei es an etwas Höheres, über einem Stehenden, hier an Energie, Gott oder Göttin, das Universum oder dort an die Mistress oder den Master.

Unterscheiden tun sich BDSM und Tantra sehr deutlich durch den physischen Schmerz, der in vielen sadomasochistischen Sessions eine wichtige Rolle spielt und die – einvernehmliche – Aufgabe des freien Willens einer der beteiligten Personen im Rahmen eines vorher vereinbarten Szenarios. Wobei man nicht unterschätzen sollte, in was für emotionale Abgründe Tantriker während ihrer Rituale geraten können und wie viele Tränen auch dort in manchen Sessions geweint werden.

Ganz praktisch dient heutzutage das moderne Tantra mit all seinen verschiedenen Angeboten vielen Menschen zur Erweiterung der Lust und Liebesfähigkeit. Tantra ist aber grundsätzlich ein spiritueller Weg. Ob das Tantra nicht nur der eigenen Reifung in Sachen Liebe und Co. gilt, sondern auch als spiritueller Weg ernstgenommen noch ganz andere Türen der Erkenntnis öffnet, bleibt jedem einzelnen überlassen. Dies ist aber ein eindeutiger Unterschied zum BDSM, in dem man aber auch spirituelle Erfahrungen machen kann.

Tantra und BDSM bieten Menschen, die Sexualität jenseits des Üblichen suchen und sich erotisch anders als gewohnt entfalten möchten, viele Möglichkeiten, in Sessions und Ritualen Vertrauen zu anderen Menschen zu entwickeln, ihren Mut zu erproben, sich und ihren Wünschen zu vertrauen, intensive intime Augenblicke zu erfahren und ihre Schönheit und Kreativität zu entfalten. In jedem Fall ist es eine Abenteuerreise zu sich selbst.

Tua und Ilka