Als ich quietschjung war, gab es kein Internet, keine Smartphones, sondern nur zwei Stadtteilmagazine mit Veranstaltungshinweisen und Anzeigen, an denen man sich orientieren konnte, was los war in der Stadt. Und es gab die Mauer. Ich wuchs in West-Berlin auf.

Ich ging damals tanzen in einschlägigen Diskotheken, hing nächtelang in Bars ab, um Menschen zu treffen oder auch kennenzulernen. Das klappte auch recht gut. Wenn man jemanden kontaktieren wollte, musste man sich verabreden – am besten per Telefon oder gar per Post. Die ersten Anrufbeantworter waren unterwegs. Leicht „wegwischen“ ließ sich nichts, was das Herz berührte. Heute wie damals nicht.

Tantra

Das „Diamond Lotus“ hieß damals noch ANTINOUS Institut, und die kleine Gemeinschaft wohnte in einem besetzten Haus in der Mansteinstraße in Berlin-Schöneberg. Aus ihrem Umkreis stammte die einzige (!) Anzeige im Stadtteilmagazin für eine „Tantramassage“. Andere Angebote gab es nicht.

Kaum jemand hatte damals eine Ahnung vom Tantra. Es war sozusagen „Terra X“ – ein wenig ähnlich wie heute. Allerdings denken heutzutage die meisten sofort an das Sexuelle – ein nebliges, esoterisches Gruppenfickszenario oder Ähnliches. Man ist zwar einen Schritt weitergekommen, denn Tantra bezieht sehr wohl das Körperliche mit ein.

Allein Andro – der leider schon verstorbene Gründer vom Diamond Lotus Institut – wurde damals bekannt durch die Sendungen des Berliner TV-Senders „Der Offene Kanal“. Andro saß nackt im Lotussitz vor der Kamera und gab Interviews. Das konnte man nur zu bestimmten Uhrzeiten im Fernsehen sehen. In den Achtzigerjahren hielt man ihn für etwas verrückt.

In den Achtzigern eroberten die Sannyasins um Osho Berlin. Plötzlich wanderten viele Menschen in Orange herum, die sich für mein Gefühl ewig lang umarmten und oft in kindliches Gekicher ausbrachen. Durch diese Welle entstanden in allen Großstädten Meditationsangebote, spezielle Discos und 24 h geöffnete Cafés.

Sexualität war damals schmuddelig erahnbar – auf dem Strich an der Potsdamer Straße, im Tiergarten und in sogenannten Peepshows. Lesbische Frauen trafen sich im „Pour Elle“, einer kleinen Diskothek, oder in Cafés in besetzten Häusern. Mehr gab es nicht.

2025

Liebend gern hätte ich meine sexuelle Entwicklung in diesem Jahrtausend gestartet! Heute gibt es unendlich viele Optionen, sich selbst zu erforschen und auf eine sexuelle Entdeckungsreise zu gehen:

  • Tantramassage
  • sexpositive Räume
  • Kuschelevents
  • Squirt-Kurse
  • Sexological Bodywork
  • Sexshops for all Genders
  • Swingerclubs, Kink, BDSM, Bondage

… vieles davon ist Mainstream geworden.

Es gibt das Berghain, das KitKat, die Xplore – und ähnliche Orte, um die ungeheure Vielfalt der Sexualität selbstbestimmt und nach eigenem Gusto zu erleben.

Macht das Meer der Möglichkeiten wirklich weiser?

Nicht automatisch. Sonst wäre die Welt z. B. überfüllt von hervorragenden Musikern – es gibt ja überall Instrumente zu kaufen. Man muss sich damit beschäftigen. Sexualität ist etwas, das man lernen kann – das sich entwickelt und im Laufe des Lebens immer wieder verändert.

Dennoch ist es ein riesiges Geschenk unserer Zeit, all diese Möglichkeiten zum Üben und Herausfinden zu haben.

Wird heute tatsächlich mehr direkt über Sexualität gesprochen?

Großartig ist es, sich offen über Erfahrungen austauschen zu können – was teils häufiger geschieht als früher oder zumindest in entsprechenden Seminaren geübt wird.

Heutzutage ist es leicht machbar, im geschützten Rahmen – insbesondere in Seminaren – zu üben, wie man Intimität herstellen kann, auch mit mehr als nur einer Person. Der Mut, direkt über sexuelle Wünsche, Fantasien und Praktiken zu sprechen, schafft einen tragfähigen Teppich für Liebe – und löst das Gefühl auf, „falsch“ zu sein.

Es zeigt: Du bist vielleicht einfach nur eine besondere Blume im Strauß der sexuellen Vielfalt.

Gibt es tatsächlich eine Veränderung über die Jahre?

Leider nein. Ab und zu gibt es Lichtblicke, und ich habe das Gefühl, dass die neue Generation tatsächlich innerlich freier agiert und mit mehr Leichtigkeit durch die sexuellen Sphären und Ekstasen fliegt. Aber nach 20 Jahren Seminar- und Einzelarbeit kann ich sagen: Die Themen sind dieselben wie zuvor. Gewalt in jeder Form und (emotionaler) Missbrauch haben sich nicht verringert.

Allgegenwärtige Themen:

  • Körperscham und Selbstabwertung
  • Performance- und Leistungsdruck im Sexuellen
  • fehlende Körperwahrnehmung
  • sich selbst und andere nicht spüren können

Dieses Phänomen ist leider weit verbreitet – und gesellschaftlich oft nicht sichtbar. Es ist damals wie heute eher die Norm – gut versteckt unter Coolness, Leistungsdenken und dem Anspruch, sexuell „funktionieren“ zu müssen.

Immerhin spricht man heute über Themen, die früher einfach hingenommen wurden. Zum Beispiel können Frauen sich über die Wechseljahre informieren und müssen nicht mehr alles einfach aushalten – sie können mit Hilfe geschulter Gynäkolog:innen etwas für ihren Körper tun.

Fazit

Eine Veränderung zum Positiven schleicht sich nur langsam und stetig ein. Reifung und Wachstum brauchen Zeit. Vielleicht kannst auch du ein Beitrag dazu sein?

Zum Beispiel beim nächsten Kaffeetreffen: Frag doch in die Runde – wie habt ihr eure Sexualität entdeckt? Oder trau dich weiter: Hat jemand schon mal einen Dildo (vaginal/anal) ausprobiert? Erfahrungen mit einem Strap-On gemacht? Inwiefern fühlt sich das für die empfangende Person anders an als Penetration mit einem Penis?

Beobachte, wie viel Scham auftaucht – und auch deine eigene Tendenz, dies zu vermeiden. Erlaube dir, alles wahrzunehmen – und im direkten Kontakt zu bleiben. Es ist wunderbar, wenn aufkommende Gefühle nicht maskiert, sondern artikuliert werden können. Das macht es nur menschlich – und schafft vielleicht neue Freundschaften oder gar tiefere Verbindungen.

Meine Seminare – inklusive der Ausbildung – dienen dazu, sich selbst in allen Aspekten zurückzugewinnen und das Feuer der Ekstase in alle Lebensbereiche zu bringen. Möge dies den Reifungsprozess des sexuellen Seins und des menschlichen Wachstums voranbringen.

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