Der Enkel steht nackt im Wohnzimmer und lacht. Die Windel hängt ihm bis an die Knie und er spielt mit seinem Pimmel. Ab und zu kreischt er: „Nicht gucken, nicht gucken!“

Gerade noch war die halbe Familie beim heiteren Versteckspiel über die gesamte Etage verteilt. Ab sofort bestimmt er, „wir sollen gefälligst im Versteck bleiben“! Das bedeutet, wir hocken in der übervollen WG-Küche zwischen Geschirr, Marmelade und Vollkornbroten und bewegen uns leise zur Tür. Wenn wir die Küchentür wiederholt öffnen und ins Zimmer hinein lugen, beginnt er zu hopsen und lacht sich einen Ast. Glucksend und kichernd ruft er mit kindlich hoher Stimme immer wieder lautstark „Draußen bleiben!“.

Sein kleiner Penis steht steif ab. Er spielt freudig mit seinem Körper und hat ein beflügeltes, breites Lächeln im Gesicht.

Da das traditionelle Versteckspiel offensichtlich beendet ist, beschäftigen wir uns mit anderen Dingen. Der Kleine hält noch eine Weile seinen Penis zwischen den Fingern und berührt freudig seinen Bauch. Kurze Zeit später sind die Autos für ihn wieder mehr von Interesse. Der Enkel ist drei Jahre alt und hat schon verstanden, dass sexuelles Sein in erster Linie etwas Privates ist.

Der Enkel hat’s gut. Es gibt niemanden, der seine kindliche Lust und sein Erforschen moralisch reglementiert oder gar ausnutzt. Sein kindliches Entdecken ist willkommen und liegt in der Natürlichkeit der Sache. – Doch leider ist das nicht überall so, weder heute noch früher. Schauen wir einmal in der Vergangenheit:

Schwarze Pädagogik und Sexualität – Wenn „der Herr“ alles sieht…

Die Folgen und Auswüchse der sogenannten “Schwarzen Pädagogik“ gelangten wie Verästelungen aus dem letzten Jahrhundert bis weit in die 1970er-Jahre hinein in das Bewusstsein der deutschen Nachkriegsgeneration. Ein extrem konservatives Erbe, das auch das sexuelle Wesen des Kindes komplett überging. Hinsichtlich der Sexualität diente „Schwarze Pädagogik“ dazu, dem Kind Ekel und Scham vor dem Körper beizubringen und die natürliche Lust zu reglementieren. Es galt, dass Gehorsamkeit stark mache und man die natürlichen Triebe überwinden müsse, damit man zu einem vernunftbetonten, rationalen Menschen werde.

Vielerorts leisteten Kirchenvertreter zu einer traumatisierten Sexualität einen erheblichen Beitrag, indem sie eine Lehre und Indoktrination von Schuld- und Schamgefühlen verbreiteten, beispielhaft durch Sätze wie „Der Herr sieht alles – auch was Du unter der Bettdecke machst“ und die Herabsetzung des Weiblichen durch moralisch reglementierte Keuschheit und Jungfräulichkeit bis zur Ehe.

Ich selbst komme aus der Generation, deren christliche Großeltern kontrollierten, dass die Hände nach dem abendlichen Gebet auf der Bettdecke blieben. „Ich bin klein, mein Herz ist rein …“ und danach ein feuchter „Gute Nacht Kuss“ von der Oma.

Ein paar Jahre später ging ich mit schlechtem Gewissen zur Physiotherapie, um dem früh entdeckten „Scheuermann“ – einer gewissen Schieflage der Wirbelsäule – zu begegnen. Ich hatte damals Schuldgefühle und fragte mich auch, ob möglicherweise meine lustvollen Handlungen damit zu tun hätten, schließlich hatte ich von meiner Mutter mehr als einmal den Satz gehört: „Selbstbefriedigung macht die Wirbelsäule krumm!“

All die erzieherischen Eindrücke haben mich – Gott sei Dank! – dennoch nie im Leben daran gehindert, mich kontinuierlich und mit großer Lust an mir selbst zu erfreuen. Das kostbare Gut meiner eigenen Sexualität konnte ich, wenn auch mit einigen Einschüssen, wie in einem Rettungsboot über den Ozean meiner persönlichen Historie hinüberschippern.

Doch nicht alle Menschen meiner Generation konnten ihre Lust ins Erwachsenenleben hinüberretten. Für manche waren die Folgen restriktiver Erziehung zu heftig. Von Prügeln und Abwertungen, öffentlicher Demütigung und vor allem Beschämung der kindlichen Neugier gegenüber dem eigenen Körper und Geschlecht höre ich von Klienten immer noch häufig.

Die Beschämung der Sexualität und des eigenen Geschlechts bis zur Impotenz

Ein Klient kam aufgrund von Erektionsstörungen und fehlender Lust zur Therapiesitzung. Er hatte bis dahin nur Kuschelbeziehungen gehabt, die spätestens dann scheiterten, sobald er als Mann gewollt wurde und direkte Sexualität in der Begegnung präsent war. Hier konnte er zum damaligen Zeitpunkt nicht anders als wortwörtlich einknicken. – Was war in der Vergangenheit geschehen?

Der Klient war mit einer Mutter aufgewachsen, die ihm vermittelt hatte, dass Männer Frauen oft bedrängen und „böse“ sind. Diese Sichtweise wurde täglich bestätigt durch den cholerischen, gewalttätigen Vater. Der Klient wollte nicht, dass sich seine Mutter Sorgen macht. So beschloss er bereits als kleiner Junge, besser „impotent zu werden“ und „seinen Schwanz einzuziehen“. Zu seinem eigenen Schrecken als erwachsener Mann war ihm das ehemals kindliche Vorhaben tatsächlich gelungen und spiegelte sich nun in seinem Sexualleben.

„Etwas ist falsch mit mir!“ – Wie sich sexuelle Ambivalenzen von Eltern auf Kinder übertragen

Eltern geben ihre Haltung zur Sexualität automatisch an ihr Kind weiter. In einem sehr jungen Alter kann das Kind gar nicht anders, als diese Information direkt über sein nicht ausgereiftes Nervensystem aufzunehmen und in seine eigenen Gefühle zu integrieren. Bei körper- und sexualfeindliche Regeln der Eltern wirken diese wie ein Damoklesschwert gegen den natürlichen inneren Impuls des Kindes. Aus der seelischen Ambivalenz zwischen eigener Lust und dem elterlichen Gebot entsteht eine tief im Gewebe verankerte Dauerspannung, die oft mit der beeinträchtigenden Überzeugung einhergeht „Etwas ist falsch mit mir!“.

Selbst wenn Eltern auf kognitiver Ebene verstanden haben, dass der Mensch von Anfang an ein sexuelles Wesen ist und der kindlichen Entdeckerfreude nichts entgegensetzen möchten, kann es sein, dass im Unbewussten des Kindes sexueller Stress entsteht. Die Eltern greifen vielleicht gar nicht ins Geschehen ein, sie halten nicht ab, unterbrechen das Kind nicht durch Strafen oder durch Unterlassungsregeln, aber ihre eigenen emotionalen Ambivalenzen wie Angst oder Ekel in Bezug auf den Körper und die Sexualität wirken dennoch im Kind.

Das feine Nervensystem des Kindes registriert Schreck, Scham oder Irritation in den Augen der Bezugsperson angesichts seiner Nacktheit und seinem sexuellem Spiel reflexhaft und sehr genau. Auch wenn kein Wort gefallen ist, beginnt das Kind seine Impulse einzuteilen in „falsch“ oder „richtig“, „gut“ oder „schlecht“. So entstehen nicht nur Konzepte, kulturelle Überzeugungen und emotionale Blockaden, sondern es erfolgt auch ganz physisch eine Unterdrückung des lustvollen Impulses über körperliche Anspannung. Die Ambivalenz in der Sexualität der Eltern zieht in das Körper-Zuhause des Kindes ein.

Sexualität? – „Darüber spricht man nicht!“

Eine Klientin berichtete, sie sei froh, dass in Ihrer Kindheit nie etwas Schreckliches stattgefunden habe, jedoch würde sich eine unglaubliche Scham durch Ihr ganzes Leben ziehen und wie ein Schleier über Ihrer Sexualität liegen. Sie klagte über seltene Lust und Orgasmusstörungen, obwohl sie schon seit Langem daran „arbeite“, sich in ihrem Körper wohlzufühlen, sich selbst zu akzeptieren und sich vor allem nicht zu schämen. Doch dies gelinge nicht. Besonders schlimm sei es, wenn sie erröte und die körperliche Hitze aufgrund von Scham reflexartig und von außen sichtbar aufsteige. Sie fühle sich minderwertig und nicht richtig.

Im Laufe unseres Gespräches erfuhr ich, dass die Mutter der Klientin voller Scham gegenüber dem Thema Sexualität sei und kein Wort darüber verliere. Auch konnte sich die Klientin nicht erinnern, dass in der Familie jemals über Sexualität gesprochen worden sei. Sie „wusste“ einfach „das darf man nicht“. Das Ungesagte lag in der Luft.

Als Teenager zwang sie sich, mit Selbstbefriedigung aufzuhören, da sie davon überzeugt war, dass andere „es“ auch nicht tun. Es gelang ihr, Ihre Lust willentlich zu dezimieren und der übernommenen Scham selbstabwertende Andockpunkte zu geben, z. B., dass sie nicht gut rieche oder zu viele Haare am Körper habe. Die wenigen Male, in denen sie hormonell von ihrer Lust überwältigt wurde, bezeichnete sie als „Stressabbau“ und verweigerte sich selbst damit den Genuss.

Glücklicherweise gelang es ihr im Erwachsenenalter, sich mit viel Selbstliebe und derselben Disziplin, mit der sie sich damals die Lust abgeschnitten hatte, ihren Körper und ihr sexuelles Sein zurückzuerobern.

Scham als zweite Haut – wenn Entwicklungstraumata die Sexualität beherrschen

Genau wie diese Klientin berichten viele Frauen davon, dass sie sich an lustvolle Gefühle in ihrer Kindheit erinnern können, oft sogar an die Fähigkeit, einen Orgasmus zu erzeugen. Aber dies sei ihnen im Laufe der Zeit verloren gegangen. Stattdessen sitzt ihre falsche Scham wie eine zweite Haut über dem Körper. Die Wege zur Lust sind versperrt. Die Scham macht handlungsunfähig und unterbricht sexuelle Erregung. Entwicklungstraumata beherrschen ihre Sexualität.

Generell kann man sagen, dass alle starken Reglementierungen, Beschämungen der kindlichen Lust, Abwertungen der Sexualität oder des eigenen Geschlechts dazu beitragen, Spannungen im Körper zu hinterlassen, die später abgespalten, also nicht mehr „gefühlt“ werden. Das Körperbewusstsein ist aufgrund der Traumatisierung fragmentiert. Die Folgen können u. a. Empfindungstaubheit, Berührungsekel, Orgasmus- und Funktionsstörungen sein.

Glücklicherweise ist der sexuelle Impuls jedoch trotz körperfeindlicher Elternindoktrinationen oft so stark, dass Menschen ihre Lust und Sexualität ins Erwachsenendasein hinüberretten können. Vielleicht macht man „es“ dann heimlich, man spricht nicht darüber, man versteckt sich, und man macht „es“ möglichst auch noch ganz schnell, damit „es“ niemand (die Eltern) mitbekommt. Angst kann sich mit Lust koppeln oder Schläge werden sexualisiert, da dies eine Form der körperlichen Zuwendung ist.

Doch wenn die Lust erhalten geblieben ist, auch wenn sie nur auf eine bestimmte Art und Weise erlebt werden kann, dann ist dies immer eine gelungene Rettungsmaßnahme des Systems. Dieses geht dann eventuell mit gewissen Einschränkungen einher, aber aus tantrischer Sicht ist die Achtung vor dem individuellen sexuellen Erleben und dem sexuellen Ausdruck nicht gemildert. Und inwieweit jemand seine Sexualität in seinem Leben generell weiterentwickeln mag, ist der Eigenverantwortung überlassen.