Seit ca. 7 Jahren geben wir regelmäßig einmal im Jahr ein Paarseminar in Portugal an der Westalgarve. Der Seminarort ist bezaubernd. Er liegt mitten im Tal und ertrinkt im farbigen Blütenmeer. Neben den verschiedenen Unterkünften sieht man die Pferde auf der Koppel stehen. Die dicken Schweine erfreuen sich über Reste vom Essen und es zwitschert in den Feigenbäumen. Im Spätsommer sind die Kakis reif und ihr Saft platzt aus den Früchten. Ein friedlich schönes Ambiente, in dem man auf natürliche Weise eingeladen ist, sich zu entspannen.
Was macht es so besonders?
Das I-Tüpfelchen des Ambientes ist die gesamte Regeungo-Crew. Die Belegschaft besteht aus den langjährigen Mitgliedern der Gemeinschaft, aus Freunden aus dem Umland und den ehemaligen Dorfbewohnern und Dorfbewohnerinnen, die dort eine offizielle Anstellung haben.
Dieses sehr gemischte Team schafft es wie von Zauberhand, jeden Gast mit dem Herzen willkommen zu heißen. Es fühlt sich so an, als würde man bei Freunden ankommen.
Liebe geht durch den Magen
Insbesondere in der offen einsehbaren Küche kann man beobachten, wie die Küchencrew mit viel Freude, Humor und „Palavra“ das Essen zubereitet.
Einer der Köche ist Karel. Ein begnadeter tschechischer Künstler, – ob im Essen zubereiten, im Handwerk, musikalisch als Drummer oder Bajans singend. Mit seiner Frau Radha lebt er seit 27 Jahren in Portugal. Beide sind ein Herzstück des Regeungos und zaubern mit Liebe die leckersten Gerichte und schmücken die Küche mit ihrer Kreativität.
Das Feuer
Im letzten Sommer, bei dem großen Brand in Portugal, ist ihr Haus komplett abgebrannt. Unser Paarseminar ist das erste, was nach dem Brand wieder stattfinden konnte. Danach besuchen wir Radha und Karel in den Bergen.
Es ist schon erstaunlich und erschreckend, was überhaupt alles übrig bleibt von einem Haus mit all den Gegenständen, die hier mit Liebe im portugiesischen Stil und mit all der beeindruckenden Handwerkskunst zusammengetragen war. Es bleibt nichts übrig! Oder eben Schrott. Die Eisenstangen des Betts. Der eiserne Ofen. Karels Neffe hat auf der stehengebliebenen Wand eine Strichliste mit den hunderten Schubkarren hinterlassen, mit denen er das Verbrannte rausgebracht hat.
Wir sind sprachlos.
Karel springt derweil über die Steine und erklärt uns, dass jetzt Zeit ist, das Haus wieder aufzubauen und zu verschönern. Eigentlich wollte er schon immer einen Torbogen als Eingang haben, und den würde er jetzt bauen. Eine große Chance der Renovierung von altem und überholtem Design. Mit unerbittlichem Humor führt er uns durch das zerstörte Ambiente, und wir sind verblüfft über sein Engagement. Aus dem Schrott will er ein Kunstwerk machen und wird es für eine neue Terrasse wiederverwenden. Er zeigt uns, welche verrückten Formen Flaschen annehmen können, wenn sie vom Feuer gezeichnet sind, und was für „Kunstwerke“ er nach dem Brand gefunden hat. Sein Lachen steckt an und sein Esprit erst recht. Ich bezweifle, ob ich nach so einem Ereignis mit derselben Schaffensfreude an den Aufbau gehen könnte, und bleibe in staunender Bewunderung.
Februar 2024
Ein halbes Jahr später besuchen wir Karel. Er lebt nun seit 6 Monaten allein und arbeitet an seinem Haus. Seit dem Herbst ist Radha aufgrund einer medizinischen Behandlung in Tschechien. Karels Hände sind schwarz, er steht uns mit einem Spaten gegenüber. Er wohnt in dem Rest seines Hauses: Ein überdachter Abschnitt aber ohne Außenwand. Das Dach ist teilweise absichtlich offen gelassen, da ein Baum hindurch wächst. Karel hatte damals das Haus extra um den Baum gebaut, damit der Baum nicht gefällt werden muss. Beheizbar ist das Innere nur durch ein offenes Feuer, welches fast ständig brennt, denn dieser Winter ist sehr nass in Portugal.
Da kein richtiger Ofen und Abzug vorhanden sind, geistert der Rauch durch den unbändigen Wind quer durch den Raum und ich frage mich hustend, ob Karel, das langfristig überlebt. Die Schwaden türmen sich über uns auf wie nach Umarmung suchende Geister und bewegen sich nach oben. Durch das Szenario riecht Karel wie der Leibhaftige, wenn ich ihn umarme. Sein Bart kratzt und seine blauen Augen besitzen das offene, lebenslustige Strahlen eines Zwanzigjährigen.
Er zeigt uns stolz und engagiert sein Werk seit den letzten Monaten. Wir sehen ehrlich gesagt nicht allzu viel Veränderung. Aber wie soll ein Mann auch – fast- ganz allein dies schaffen? Wahrscheinlich ist er siebzig, wenn er fertig ist, vermuten wir. Karel lässt sich von unseren Zweifeln nicht beirren. Er reißt Witze in einer Mischung auf Deutsch-Englisch und Portugiesisch und wir stimmen in sein Lachen mit ein.
Auch wenn er riecht, wie der Teufel, kann dieser ihm nichts anhaben. Die Demut ist das Schwert der Liebenden.
Ich frage nach dem Verbleib der Musikinstrumente, und erinnere mich wie Radha und Karel in unseren Seminaren einen Abend in ihrem Haus gestaltet hatten: Mit Musik, mit Mantren und mit einem gigantischen Essen in ihrem originellen Ambiente. „It is all burnt.”
Jetzt sitzen wir auf den letzten drei übrig gebliebenen – natürlich Stahl-Stühlen. Mit heißem Wasser vom offenen Feuer kocht Karel für uns Instant Kaffee mit den Worten: „I am so sorry, I cannot offer you more…“
Mit seinem unerschütterlichen Vertrauen und seiner Lebensfreude – „I am happy!“- schüttelt er auch die letzten Zweifler ab und macht sich wieder an die Arbeit.
Auch wenn es von außen schwer vorstellbar ist, nimmt sein stilles hingegebenes Glück uns mit in seinen Bann.
Feuer der Transformation
Haus und Hof zu verlieren, dass einem sozusagen die Existenz unter den Füßen wegggezogen wird, gehört samt Erlebnissen wie Trennung und Tod zu den schweren bedrohlichen Situationen im Leben des Menschen. Wie schnell jemand hier wieder „aufstehen kann“ hängt in großem Maße mit der inneren Stabilität zusammen.
Wer durchs Feuer gegangen ist und dennoch getragen wird von Liebe und Lachen, ist von Reichtum umhüllt.
Inmitten der Korkeichen denke ich daran, wie ich an manchen Tagen explodieren kann, wenn etwas anders ist als ich geplant hatte oder meiner Vorstellung nicht entspricht. Wie sogar Kleinigkeiten zum inneren Weltuntergang werden!
Karel wird mir mit seinem unerschütterlichen Humor und seiner demütigen Hingabe ans Leben mit all seinen Veränderungen ewig in Erinnerung bleiben.
Abgebrannt und dennoch glücklich. Ein Schmunzeln liegt auf meinem Gesicht.