Gerade, als ich dabei war, das letzte Blech Weihnachtskekse in den Ofen zu schieben, erreichte mich gegen 24 Uhr die Nachricht von Andros Tod in Brasilien. Ich bin schwer erschüttert. Habe nur vier Stunden geschlafen. Innerlich höre ich beinah kontinuierlich „Dust in the Wind“ von Kansas. Das Lied gehört zu Andro. Ein jedem, der seine Workshops gekannt hat ist dies ein Begriff. Ein wahres Urgestein des Tantras ist gegangen! Ein mutiger Grenzgänger in jeder Hinsicht. Ganz egal, was man von ihm gehalten hat – er war ein Vorreiter, Wegbereiter und sehr radikaler Vertreter des Tantra. Unermüdlich in seiner Leidenschaft, kompromisslos in seiner Vision einer freien Welt.

Seit mindestens zwei Jahrzehnten gehe ich im Diamond Lotus Institut ein und aus und arbeite in den Räumen. Wenn ich alltäglich die Schlüssel holte, dann kam Andro mir sofort eine Etage entgegen gelaufen. Selbst als er schon etwas wackliger auf den Beinen war. Vor einiger Zeit haben wir auf der Treppenstufe lachend festgestellt, dass wir uns schon seit dreißig Jahren kennen. Andro hatte immer ein offenes Ohr und beim obligatorischen Schwarztee gab es interessante Gespräche über weltliche wie auch intime Dinge. Das Diamond Lotus mit Andro war und ist für mich ein Stück zu Hause. Tantrisches zu Hause!

In der von menschlichen Auf und Ab, vom Kommen und Gehen gezeichneten kleinen Gemeinschaft erinnere ich Andro als immer fleißigen, aufmerksamen Geist, inmitten des tantrischen Feuers – so wie Andro es verstand. Leider war es nicht immer ein Feuer der Transformation, sondern durch die Leidenschaften mit allen Wassern gewaschen. Alle Achtung, wer dem standhält und trotz allen achterbahnartigen Widrigkeiten – Gerichtsprozessen, Verschuldung oder Anfeindungen – bleibt und seine Vision kontinuierlich durchhält. Das hat er allemal.

Das von Andro gegründete „Antinous“ in der Mansteinstraße, das spätere „Diamond Lotus“, war zur damaligen Zeit einzigartig. Zum Beispiel der uralte löchrigeTeppich, den wir trotz langer Diskussion damals beim Umzug partout mitnehmen mussten. Er war halt ein Relikt von Andros Großvater und damit hatte er das unumstößliche Recht direkt im Eingang zu liegen.

In der Mansteinstraße hatte Andro das Dachgeschoß zum Bogenschießen umfunktioniert. Unvergesslich waren die Rituale in den hohen Altberliner Räumen mit dem gigantischen Holzofen. Direkt unten drunter die Drogen-Disco. Polizeieinsatz ungefähr jede Woche. Nach nächtelangen Ritualen standen wir halbnackt morgens auf dem Balkon. Auf der Straße drehten die ersten vampirhaften, schwarz gekleideten Gestalten ihre Zigaretten im Freien. Im benachbarten von Punks besetzen Haus startete gerade neue Musik.

Jedem seine Welt und diese war ein ganz besonderes Kleinod einer Geschichte, hand geschrieben von Andro. .Mit Andros Geist und Werk trafen immer verschiedene Welten aufeinander. Nicht nur im Haus. Und das „Antinous“ war stadtbekannt. Folgende Szene war bezeichnend: Frisch nach dem Umzug in die Bautzener Straße klingelte es zu früher Stunde. Eine ganze Reihe Polizisten in voller Montur standen in der Tür. Mir sprangen sie fast ins Gesicht: “Wer sind sie? Personalausweis? Zack, zack! – Was? Den haben sie nicht hier? Wie heißen sie denn? Wer wohnt hier?” Ich stammelte irritiert: „Äh, ja, Antinous-Institut …“ Daraufhin die Polizisten: „Ach so, ach so! Das hätten sie ja gleich sagen können!“ Damit zogen sie wieder ab, und ich atmete auf.

Wie oft hab ich schon nach Andros Seminaren meinen Teilnehmern erklären müssen, dass die Türen, die im Bad fehlen eben “gerade nicht gestrichen werden“. Mit Entfernen der Türen zu allen Workshops gab es zwar keinen rechtsfreien, aber doch schamlosen Raum, den Andro maßgeblich erschaffen hat. Die Jahre des Zusammenlebens nach dem großen Umzug vom Haus in der Mansteinstr. in die viel kleineren Wohnungen in der Bautzener Straße war nur für jemand mit Nerven aus Drahtseilen. Im Nachhinein bezeichne ich die Zeit als „echt hard-core“: Jeweils zwei Personen in einem kleinen Zimmer, Geschäftsräume unten drunter, schreiende Kinder samt Au-Pairs belagern kontinuierlich die Küche. Nicht zu vergessen: Es gab ein einziges Geschäftstelefon, das im Flur stand und Tag wie Nacht gebimmelt hat! Unvorstellbar mit allen emotionalen Querelen. Dennoch konnte man sich auf Andros Tantra Yoga am Morgen pünktlich verlassen.

Ich hab Bilder im Kopf von Andro in seinen rosa Samthosen und dem alten Pelzmantel, – und wie peinlich es manch einem war, wenn er in dem Aufzug mit ihm zur Post ging. Andro hat sich nie um so etwas geschert. Ich erinnere mich an die eiskalte Badewanne mitten im Hof, in die wir kreischend noch vor dem Frühstück und der Morgenmeditation hinein gesprungen sind, weil das angeblich jung und fit hält. Mit der Männergruppe sprang Andro nackt bemalt durch die Vielfalt der Schöneberger Mitbürger und fand sich daraufhin in einer Schlägerei wieder. Es änderte nichts daran, dass jede Mahlzeit in der Gemeinschaft mit einem Gebet und lautem gekreischten „Guten Appetit“ begann. Man lachte immer und trotz allem!

Andro war ein Handwerker im Haus, genauso wie ein Künstler, wenn er schrieb oder vor Shakti tanzte. Nicht zu vergessen: Er war ein großartiger Zeremonienmeister bei den Ritualen. Damals rasten die Ratten zwischen den Mülleimern im Innenhof umher und der russische Au Pair war ein wahre Schönheit…. Andro umhegen tausende von Geschichten – nicht nur aus einer Nacht.

Ich erinnere Andros Inszenierungen im ersten Kit Kat-Club, die Fernsehauftritte im letzten Jahrtausend, nackt mit langem Zopf, seine bezaubernde Sprachgewandtheit. Er war der Erste, der sich solche Auftritte erlaubt hat. Der Boom der Tantramassagen und damit die Finanzierung von vielen persönlichen Projekten geht auch auf ihn zurück. Die Radikalität in seinen Seminaren war herausfordernd. Auch wenn Grenzen überschritten worden sind- die Erinnerungen sind wohl jedem, der damals mit dabei war wie eingebrannt. Seine lobenswerte Idee, die Schamgrenzen aufzuheben, die Kultur über den Eros zu entfesseln hat einige direkt in den Abgrund purzeln lassen, wenn nicht gar des öfteren ihn selbst.

Der besondere Schwung der Augen ist mir im Gedächtnis. Seine große Fähigkeit in den Massagen zu berühren. Die unvergesslichen Chakrapujas und immer wieder unendliche Lustgeräusche aus den Zimmern. Andro war damals das Bindeglied für meine Bekanntschaft mit Advaita: Die beiden Tsunamis des Tantras.

Wir waren uns zwar nie so wirklich nah, sondern eher sehr freundschaftlich verbunden. Und im letzten Jahrzehnt sicher im tantrischen Geist und Herz miteinander eng verwoben.

Mit viel Tränen, großem Respekt und in Dankbarkeit für alle Widrigkeiten und Schönheiten! OM NAMAH SHIVAYAH!

Ilka