Pling! Was für ein großartiger Ton auf dem Handy, einem Juchzen gleich, wenn tatsächlich der begehrte Mensch eine Nachricht hinterlassen hat! Auch wenn es nur ein Emoji ist oder ein Herzchen. Welche Farbe hat es? Alles bekommt Bedeutung. Möge doch irgendetwas auf dem Display zu sehen sein, was die Gemütslage auf Hochtouren bringt und ein Lächeln in den Tag zaubert.

Der kurze Kontakt und Nachrichtenaustausch über Social Media hat seit Jahren Hochkonjunktur. Insbesondere, wenn man z.B. jemanden kennengelernt hat und die Schmetterlinge im Bauch tanzen, gehören Social-Media-Kanäle wie WhatsApp, Signal oder Telegram zu den beliebtesten Kommunikationsmedien.

Im Allgemeinen hilft es zur unmittelbaren Kommunikation. Nur manchmal kann sie auch völlig in die Hose gehen oder eben gerade nicht dorthin. Nicht nur die Geschwindigkeit in der Kommunikation hat zugenommen, sondern auch der ständige Erregungslevel im Nervensystem.

Ich kenne Zeiten, da bin ich öfter mit dem Handy ins Bett gegangen als mit einem Geliebten – frei nach dem Motto: „Bitte beweg dich, nur eine Vibration! Bitte sprich mit mir!“ Die manchmal unglaubliche Verzweiflung und Sehnsucht in der Welt der sozialen Medien ist mir gut bekannt und ein weit verbreitetes Phänomen, insbesondere bei jüngeren Menschen.

Der Zahn der Zeit

Die Zeit des Briefe Schreibens liegt weit in der Erinnerung zurück. Damals saß ich an manchen Tagen brütend über einem Brief, der an eine mir wichtige Person ging. Ich feilte am Text und gestaltete zusätzlich noch zeichnerisch und farbenfroh den Umschlag. Dieses Gesamtkunstwerk brachte ich zeremoniell bei einem Spaziergang zum Briefkasten. Ich überlegte, wann der Verehrte den Brief in der Hand halten würde – vielleicht in 1-2 Tagen? Vor allem aber rechnete ich aus, wann ich eventuell von ihm eine Rückantwort erwarten könnte. Das bedeutete, dass es eine Woche lang jeden Tag einen äußerst spannenden Augenblick gab: Den Moment des Briefkastenöffnens zwischen 8 und 9 Uhr. Regelmäßig am Morgen erwartete ich den Briefträger, den sogar die Beatles in dieser Hinsicht besungen haben („Please Mister Postman“), auf seinem gelben Fahrrad vor der Tür. Damals kam die Post tatsächlich pünktlich, anstatt wie heute, wo man frühestens mittags einzelne Kuverts – weniger von Geliebten, sondern meist von Ämtern – aus dem Briefkasten fischen kann.

Es war glasklar: Wenn am Vormittag nichts im Kasten war, konnte ich den ganzen Tag zwar mürrisch, traurig oder sehnsuchtsvoll sein, aber die körperliche Erregung hatte am Morgen ohne Post ihr Ende.

Ganz anders sieht es heute aus.Sicher kommt dir diese Geschichte bekannt vor: Claudia bleibt die halbe Nacht wach und schaut schon seit 6 Uhr früh auf das Handy, ob nicht eine Nachricht von IHM erscheint. Selbst beim Autofahren, Einkaufen und mitten in der Arbeit kann sie es nicht lassen, bei jeder angezeigten Nachricht sofort zu schauen, ob ER nicht etwas geschrieben hat. Und wehe, wenn nicht! In jeder Stunde ohne Rückmeldung wird sie innerlich angespannter und kann sich kaum noch konzentrieren. Die innere Unruhe schränkt die Atmung ein. Die Gedankenschleifen beginnen, wider besseres Wissen, ein Eigenleben zu führen: „Warum meldet er sich nicht? Er hat doch meine letzte Message vor ein paar Stunden gelesen! Hat er eine andere? Ich sehe doch, dass er ständig auf Telegram ist. Bin ich ihm nicht wichtig genug?“

Die Scham über sexuelles Verlangen

Die gedanklichen Teufelskreisläufe werden zu einer Besessenheit und hinterlassen Irritation. Der Verstand beginnt, verschiedene Interpretationen bezüglich des nicht reagierenden Gegenübers zu entwickeln. Geduld erscheint in dieser Lage wie ein Fremdwort aus alter Zeit. Nicht nur das unsichtbare Gegenüber, sondern auch das eigene Verhalten wird unter die kritische Lupe genommen. Abwertende Stimmen kommen abwechselnd mit dem Begehren zu Wort.

„Wahrscheinlich war meine letzte Nachricht einfach zu viel und zu aufdringlich. Ich möchte ihn aber so gerne wieder treffen – und möglichst bald.“

Die Nicht-Reaktion des Ansprechpartners wird als Zurückweisung empfunden und trifft oft mitten in die narzisstische Wunde, damals schon als Kind übergangen worden zu sein. Mit jeder weiteren Stunde des Wartens tritt nun zusätzlich die Scham mit auf die Bühne und nagt am Selbstwert.

„Ich hätte mich zurückhalten und nicht sofort antworten sollen. Meine Begeisterung für ihn ist zu offensichtlich. Es ist zu deutlich, dass ich sexuell angefixt bin und etwas von ihm will. Ich mache mich völlig zum Affen.“

Die Scham über das angedeutete sexuelle Verlangen in den eigenen Zeilen wächst und kann sich anfühlen wie ein Schlag in den Magen. Oder sie wird in der Fantasie übergroß und erscheint wie eine öffentliche Bloßstellung. Die befürchtete Ablehnung wird zu einem Fall ins Nichts.

Manchmal wandelt sich das Gefühl in plötzliche Wut und Degradierung des begehrten Objekts: „Wieso antwortet er mir nicht? Eine kurze Nachricht zu schreiben, ist doch nicht so schwierig! Wie kann man denn so blöd sein?“ Eine Lösung der ungemeinen Spannung erfolgt manchmal in Trennung: „Löschen, Kontakt blockieren. Ab ins Archiv!“

Der innere Richter holt derweil die Keule raus und das Gefühl der Unzulänglichkeit und des Zweifels erscheinen. „Wie kannst du nur so jemandem hinterherrennen, der dich so behandelt, dem du nicht mal eine Antwort wert bist?“

Nicht-Wissen

Das Problem in der schnellen Kommunikation ist, dass man absolut nicht wissen kann, was in dem anderen vor sich geht. Manch einer hat kein „Händchen für geschwinde Antworten“ und überlegt stundenlang. Manch einer freut sich so sehr, dass er die Nachricht gar nicht liest, sondern sie „aufhebt“ wie ein Stück Kuchen und erst später am Tage hineinschaut. Oder jemand hat ein sehr konsequentes, diszipliniertes Verhalten, was das Lesen von Nachrichten betrifft, und reagiert daher nur zu bestimmten Zeiten auf die „Plings“ und vermeidet damit jegliche Ablenkung. Vielleicht ist auch das Fahrrad kaputt gegangen, das Handy vergessen, das Kind krank geworden etc. Man weiß es nicht und ist konfrontiert mit Nicht-Wissen und dem Gefühl von Hilflosigkeit. Nichts weiter tun zu können, außer sich scheinbar noch mehr zu entblößen.

„Vielleicht genießt er aber nur das Begehrtwerden und lässt mich via Messengerdienst an der „langen Leine“ ohne Rückmeldung verhungern?“

Das Innere wird derweil schier wahnsinnig und gerät langsam aus der Fassung. Was tun? Es gäbe unendliche Möglichkeiten, hier in den Vorwurf zu gehen, zurückzuschlagen oder eben die Möglichkeit, bei sich zu bleiben und den Wirbel im Innenleben zu beobachten.

Tantrische Meditation

Wie wäre es, wenn jedes „Pling“ dich zur kurzen Mini-Meditation einlädt? Also, nicht gleich ans Handy greifen und schauen, wer geschrieben hat, sondern sofort für eine Minute innehalten? Schweigen. Stille. Mal probieren.

Das Innehalten richtet den Blick wieder auf dich selbst. Nach innen. Nicht nach außen. An diesem Wendepunkt kann Dankbarkeit entstehen für all das Fühlen des Lebendigen, der Aufregung, des Quirligen, des Nichtwissens, sogar der Hilflosigkeit und der unendlichen Sehnsucht, die schon in der gesamten Welt der Kunst ihren Ausdruck gefunden hat.

Auch wenn es manchmal unerträglich erscheint, muss einem das innere Glückserleben nicht verlassen, wenn es gelingt, die ungemeine Kraft des eigenen Herzens zu spüren.

Das Leben ist voll mit Geschenken, Abenteuern und Erlebnissen der besonderen Art. Es ist ein Pool des Lebendigen, das uns reicher machen kann, anstatt uns verrückt zu machen.

Es ist verlockend, hier schnelle Lösungen zu finden und dem Unbehagen auszuweichen. Stattdessen braucht es zu manchen Zeiten Durchhaltevermögen und unerschütterliches Gewahrsein, um solcherlei Verwickelungen als Reaktion auf innere Selbstverurteilung zu erkennen. Dies ist ein allmählicher Prozess der Befreiung.

Heftige innere Reaktionen, die länger anhalten, haben meist ihren Ursprung in der eigenen Geschichte. Solange diese Strukturen samt inneren Anteilen nicht annähernd erkannt sind, wird das Leid in der einen oder anderen Weise fortgesetzt. Um mehr Freiheit und vor allem Lust und Lebendigkeit im Erleben zu gewinnen, empfehle ich z.B. das Tantra-Jahrestraining: https://www.ilka-stoedtner.de/tantra-seminare/tantra-jahrestraining/

Reality-Check

Untersuchungen zeigen, dass die Digitalisierung mit Likes, Flammen und Herzchen, die man erhält oder eben nicht erhält, die Dopaminausschüttung im Gehirn anregt. Die entstehenden Glücksgefühle erzeugen ein Wohlgefühl, das Suchtcharakter hat. Auf Arte gibt es dazu gerade eine kurze sehenswerte Dokumentation: https://www.arte.tv/de/videos/106608-001-A/dopamin/

Fazit: Textnachrichten können das reale Gegenüber mit Mimik, Körpersprache und Klang der Stimme nicht ersetzen. Um Klarheit in Beziehungen zu schaffen, ist immer noch – oder zum Glück – ein persönliches Treffen unersetzlich. So schnell wie möglich! Viel Erfolg.