Dieter Duhm ist Autor zahlreicher Bücher über gewaltfreies Zusammenleben und teils umstrittener Visionär für eine friedvolle Welt. Er war Initiator des ZeGG-Projektes in Bad Belzig und hat – gemeinsam mit Sabine Lichtenfels – die Gemeinschaft „Tamera“in Portugal gegründet.

Im September wurde er 80 Jahre alt. Einen Tag vor seinem Geburtstag fand eine spezielle Sonntagsmatinee für ihn in Tamera statt, auf der auch ich durch Zufall (oder Fügung?) dabei sein durfte.

Am Samstag ging mein Paarseminar Tantric Desire in Portugal zu Ende und eigentlich wäre ich schon wieder in Berlin gewesen. Doch mein Rückflug wurde versehentlich auf Montag anstatt Sonntag gebucht.

Doch wer war Dieter Duhm für mich?

Rückblick 1988

Zusammen mit Simon Thaur (heute bekannt als Besitzer des KITKAT Clubs in Berlin) lebten wir zu fünft entweder auf Reisen, aber hauptsächlich in einer 1-Zimmer-Wohnung in der Gerechtigkeitsgasse in Zürich.

Wir waren ein kleiner verliebter Haufen von jungen Menschen, die definitiv anders leben wollten als üblich.

Wir lasen das Buch „Aufbruch zur neuen Kultur“ von Dieter Duhm. Die Ziele haben uns gefallen. Wir hätten alles unterschrieben, aber waren überzeugt, dass wir das beschriebene Liebesmodell in unserer kleinen Kommune sowieso schon unter Dach und Fach gebracht haben.

Wir waren neugierig und beschlossen eine Stippvisite nach Steckborn, einem der damaligen Standorte des Projektes „Bauhütte“ von Dieter Duhm zu machen.

Aus der damaligen Berliner Punkszene kommend und gewohnt im schwarzen Minirock zu erscheinen, war ich überrascht, dass die Frauen in Steckborn mir in langen wallenden Röcken gegenübertraten. Die meisten trugen weiße, dicke Perlenketten als Schmuck, die ich bisher nur von meiner Oma kannte. Die Tanzmusik fand ich äußerst altbacken. Trotzdem war ich fasziniert von den Liebeszimmern, Wohnwägen und eingerichteten Räumen für Liebestreffs und projizierte wahnsinnig mit meinen jungen Jahren auf die etwas älteren Projektler.

Die Krönung fand am Abend statt: Ich konnte mit einem Mann aus dem Projekt die Nacht verbringen, was ich auch gerne tat. Allerdings allein in einem Zimmer. Zu zweit. Ich war schockiert. Aus Zürich war ich gewohnt, dass alles in einem Zimmer stattfand, was bedeutete, dass mindestens eine andere Person mit dabei war. Und das sollte jetzt die neue Kultur sein? Ich war fassungslos!

Am Morgen danach fuhr unsere kleine Kommune wieder zurück in die Großstadt. Ich war heilfroh, denn in der Zwischenzeit war ich eifersüchtig, da mein Geliebter natürlich auch die Nacht mit jemand anderen verbracht hatte.

Trotz der seltsamen, verwirrenden ersten Begegnung beschlossen wir, als Gruppe gemeinsam am Sommercamp im Schwarzwald teilzunehmen.

In Schwand, einem winzigen Dorf ganz oben auf dem Berg, traf ich das erste Mal auf Dieter Duhm. Er war braungebrannt und stand in Blümchenunterhose plötzlich im Garten vor mir. Die Begrüßung fand unter dem Nussbaum statt.

Hier startete eine abenteuerliche Reise meines Lebens, die sich in Schwand, verschiedenen Stadtgruppen in Frankfurt (die berüchtigte „Frankfurter Halle“ in Offe’bach), Radolfzell und Berlin fortführte. Bis zum Kauf des Geländes in Bad Belzig, auf dem das ZeGG entstand. Aus dem ZeGG quoll die Idee und Verwirklichung von Tamera in Portugal.

Aber zurück zum Jahr 2022 in Tamera:

Den ganzen Samstagabend war ich aufgeregt und in Vorfreude. Am Morgen wollte ich unbedingt pünktlich sein, da ich nicht wusste, wen ich alles von meinen damaligen Geliebten, Mitgenossen und Freundinnen wohl treffen würde und kam früh in Tamera an. Der Chor übte gerade den Canto Generale von Theodorakis ein.

Schon an der Tür bedauerte ich, keine Taschentücher eingepackt zu haben.

Manche Kommunarden von damals hatte ich teils seit Jahrzehnten nicht gesehen. Älter geworden sind wir alle, aber die tiefen Bänder der Verbindung und des intensiven Miteinanders der damaligen Zeit reißen nicht. Sie sind im Herzen verwoben.

So stand ich erschüttert, zutiefst bewegt am Eingang, lauschte den Klängen, die damals eine unserer Hymnen des Aufbruchs in die neue Kultur war. Die Erinnerungen folgten der Musik.

Die anschließende Matinee enthielt eine wunderschöne, große Liebeserklärung von Babette (Sabine Lichtenfels) mit bewegenden Worten über das Leben von Dieter Duhm, Delon oder auch „zu meiner Zeit“ einfach Didi genannt. Ich habe mich riesig gefreut, ihn nach 35 Jahren nochmals zu sehen!

Auch wenn er mich wohl tatsächlich nicht erkannt hat. Meine Freundin ging mit mir extra nochmals hin. Babette rief freudig: „Das ist doch die Ilka“,- worauf er den Kopf schüttelte und meinte, er habe keine Geschichte mehr und damit auch keine Erinnerung. Das sei aber trotzdem eine sehr schöne Frau!

Ich musste lachen und dachte, dass das Alter ein schwerer Partner ist. Meine Freundin flüsterte mir ins Ohr, er sei halt trotzig wie immer …

Es war bezaubernd, dort gewesen zu sein. Unendlich berührend. Ich habe fast den ganzen Abend allein in Tränen verbracht. Nicht aus Traurigkeit, sondern aus Dankbarkeit. Aus Demut und Freude vor der Großartigkeit des Lebendigen und all meiner Erlebnisse mit den verschiedenen Menschen aus dieser Zeit.

Ich bin stolz im letzten Jahrtausend mit dabei gewesen zu sein, um mitzuhelfen, die Grundsteine für das zu legen, was heute ZeGG und Tamera ist. Meine Art des Einsatzes heutzutage ist ein anderer Zweig und eine eigene Variante, die Welt – hoffentlich – zu bereichern. Ich bin zutiefst dankbar für alle Erlebnisse und Begegnungen.